Schule, Lernen und Noten im Konfliktfeld des sozialen Jetlags

Dieser Artikel ist eine ins deutsche frei übersetzten Auszug aus den Ergebnissen der Masterthesis von Giulia Zebrini „Conflicted clocks: problems and solutions for social jetlag and entrainment in modern society“


Mit der Frage „Clocks everywhere, but what time is it“ eröffnet Giulia Zebrini ihre PhD-Thesis und stellt dabei gleich eine Grundsatzfrage. Welche Zeit zeigen Uhren, und welche zeigen sie nicht?

Zebrinis Arbeit beschäftigt sich unter diesem Aspekt mit mehreren Fragen, die allesamt so in dieser Form bisher noch nicht (ausreichend) beantwortet wurden. Im Kern geht es in Ihrer Arbeit um die Correlation von schulischen Parametern wie Noten, Anwesenheit und Lernerfolg zu Chronotypen.

  1. Der Zeitpunkt von Prüfungen beeinflusst die Leistungen von Früh- und Spättypen?
  2. Schlechtere Schulleistungen von Spättypen: Zugrundeliegende Faktoren und Mechanismen
  3. Zusammenhänge von Chronotyp, Tageszeit, Anwesenheit und Lernaufwand innerhalb akademischer Leistungen von Studenten
  4. Zeit zum Lernen. Welche Auswirkungen der Chronotyp auf die Schulbildung hat.
  5. Lichtinterventionen zur Reduzierung von sozialem Jetlag
  6. Anwesenheit und Schulleistung im Jahresrhythmus

Zebrinis Studie untersuchte, inwieweit der Chronotyp und die Anwesenheit in der Schule in einer Beziehung zu Schulleistungen der Schüler steht. Bisherige Studien haben gezeigt, dass späte Chronotypen (also z.B Eulen) im Durchschnitt schlechtere Schulnoten aufweisen als frühe Chronotypen.

In der vorliegenden Studie wurden Noten von über 4000 Schülern zwischen 11 und 18 Jahren als Grundlage genommen.

Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl kurzer Schlaf an Schultage, als auch ein später Chronotyp verminderte Schulleistung (schlechtere Noten) zur Folge haben. Darüber hinaus zeigen frühe und späte Chronotypen gegenläufige Tageswirkungen auf die Leistung. Notenleistung der einzelnen Chronotypen hängen hierbei von der Tageszeit während der Aufmerksamkeitsgrad unterschiedlicher Chronotypen in Korrelation zum Unterrichtsthema steht. Je früher die Leistungsabfrage, desto stärker waren die Unterschiede innerhalb der Chronotypen festzustellen. Frühe Chronotypen haben sichtlich weniger Probleme mit Prüfungen am Morgen, wie späte Chronotypen. Gleichzeitig waren die Unterschiede innerhalb der Chronotypen bzgl. des Aufmerksamkeitsgrades höher, je wissenschaftlicher das behandelte Thema ausgestaltet war.

Fehlzeiten und Chronotyp

Ein weiteres wichtiges Ergebnis war der Fakt, dass die Fehlzeitenquote mit späterem Chronotyp zunahm, was sich in letzter Konsequenz auf die Gesamtleistung auswirkt. Diese Ergebnisse bestärken den Schluss, dass der Chronotyp Einfluss auf die Schulleistung hat, sofern die aktuelle Unterrichtsstruktur zu Grunde gelegt wird.

Da die späten Chronotypen an den Schultagen eher kürzer schlafen, wurde ein Schlafmangel bisher hauptsächlich als ein möglicher Faktor für die verringerte Schulleistung angenommen. Die aktuelle Studie zeigt jedoch, dass der Chronotyp selbst ein stärkerer Prädiktor der Schulnoten darstellt, als Schlafdauer. Es ist also eher die Zeit, zu welcher Wissen abgefragt wird, die die Leistungsfähigkeit beeinflusst, als ein gegebenes Schlafdefizit. Dies tritt vor allem bei Spättypen auf, die früh morgens einen Test durchführen müssen.
Auch deuten die unterschiedliche Ausprägung der Effekte innerhalb von Schulfächern darauf hin, dass der Chronotyp Einfluss auf bestimmte kognitive Fähigkeiten, wie z.B. logisches Denken und Problemlösungsfähigkeit, hat, was speziell für wissenschaftliche Themen wichtig ist.

Wechselbeziehung zwischen Chronotyp und Tageszeit auf die Noten

Zebrini stellte die Chronotypen der Probanden anhand des MCTQ fest, und sammelte Noten der Studenten, nachdem Prüfungen dort sowohl morgens als spät Abends stattfinden. Als Problem zeiget sich dabei, dass im Vergleich zu Morgens, zu wenig „Abend-Noten“, also Prüfungen die eher am Abend durchgeführt wurden, zur Verfügung standen, um einen aussagekräftige Rückschluss zulassen zu können.
Interessanterweise stand auch in dieser Studie der Chronotyp in Beziehung zur Anwesenheit. Späte Chronotypen nahmen an weniger Vorlesungen teil. Anwesenheit und Lernbereitschaft waren stärkere Prädiktoren in Bezug auf Noten als der Chronotyp selbst, was darauf hindeutet, dass der Chronotyp-Effekt auf Noten offensichtlich, vor allem dann verstärkt auftritt, wenn die Studenten am Morgen an den Vorlesungen teilnehmen sollten. (Die meisten Universitäten haben flexiblere Zeitpläne als Schulen).

Zebrini durchleuchtete ebenfalls die einschlägige Literatur in Bezug auf eine Beziehung zwischen Chronotyp und Schulleistung. Der Chronotyp hat hiernach offensichtlich sowohl eine direkte als auch eine indirekte Wirkung, wobei letztere Wirkung durch andere für die Schulleistung wichtige Faktoren wie z.B. Gewissenhaftigkeit und Motivation vermittelt wird.

Was kann man tun, um der aktuell stattfindende Diskriminierung von späten Chronotypen zu begegnen?

  • Ein Schultag von 10.00 bis 17.00Uhr würde es erlauben, alle Schüler eher auf einem Leistungslevel zu erreichen. Im Wege stehen hier gerade in ländlichen Gebieten, die zeitlich eingeschränkte Verfügbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs.
  • Ist ein späterer Schulbeginn nicht möglich, sollten Prüfungen nicht zu früh am Tag durchzuführen oder, noch sinnvoller, mehrmals am Tag angeboten werden, um den verschiedenen Chronotypen eine gleiche natürliche Leistungsbasis zu bieten.

Blaulicht am Abend und Schlaf bei geöffneten Vorhängen

In einer weiteren Studie untersuchte Zebrini den Effekt von Blaulicht auf den Schlafimpuls sowie das Weglassen von Vorhängen auf den Schlaf an sich. Die Probanden trugen während der Stunden vor dem Schlafengehen Brillen mit Blaulichtfilter. Dabei wurde festgestellt, dass der Wegfall des Blaulichtes am Abend zu sowohl einem früheren Einschlafzeitpunkt (an Werktagen), als auch einem früheren Einsetzen der Melatoninproduktion (DLMO) führt.
Dies zeigt deutlich, dass Fernseher, Laptops, Tablets und Smartphones etc. ohne Blaulichtfilter zu einem späteren Beginn der Melatonin-Produktion führen.

Inwieweit das Schlafen mit geschlossenen oder geöffneten Vorhängen Einfluss auf das Schlafverhalten haben, war ebenfalls Teil der Untersuchung. Zebrini stellte dabei überraschend fest, dass je länger und intensiver die Testpersonen Morgenlicht im Schlafzimmer ausgesetzt waren, desto vorgezogener der DLMO. Sprich: Steigende Intensität der Morgenlichts im Schlafzimmer kann zu einer früher einsetzenden Melatoninproduktion und der damit verbundenen Schläfrigkeit am Abend führen, sofern keine externen Einflussgeber reinspielen.

In beiden Studien waren die Effekte stärker während der ersten Interventionswoche. Weitere Studien sind erforderlich, um die Langzeitauswirkungen solcher Interventionen zu bestimmen. In beiden Studien konnte Zebrini den sozialen Jetlag der Teilnehmer nicht reduzieren. Allerdings war dessen Ausgangswert mit durchschnittlich 1,5 Stunden sehr niedrig. Möglicherweise war hier auch die Bandbreite für messbare Reduzierungen zu gering. Zukünftige Studien sollten daher die Wirksamkeit dieser oder ähnlicher Lichtinterventionen zur Verringerung des sozialen Jetlags an extrem späten Chronotypen, die unter mehr als 2 Stunden sozialer Jetlag leiden, durchgeführt werden.


Quelle: Zerbini, G. (2017). Conflicted clocks: social jetlag, entrainment and the role of chronotype: From physiology to academic performance; from students to working adults [Groningen]: University of Groningen

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