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Schlafmangel kostet die deutsche Volkswirtschaft 48,5 Mrd. €.

Update 11.01.2021

Der folgende Artikel „Schlafmangel kostet die deutsche Volkswirtschaft 48,5 Mrd. €.stammt aus 2017 und basiert auf einer 2016 durchgeführten Studie (siehe Text). Der für diesen Zeitpunkt ausgewiesene volkswirtschaftliche Schaden beträgt umgerechnet 48,5 Mrd.€. Die Studie beinhaltet auch eine Prognose, die für 2020 einen volkswirtschaftlichen Schaden von knapp über 70,354 Mrd. US$ (aktuell ca. 58,5 Mrd. €) ausweist (siehe Grafik „Prognose“). Hochgerechnet für 2021 ergeben sich hieraus nun rund59 Mrd.€). Die Zahlen in diesem Artikel basieren jedoch noch auf 2016, sodass sie sich aktuell wohl noch dramatischer darstellen, als 2016. Dies bitte ich beim Lesen des Artikels zu berücksichtigen.


„In unserer Informationsgesellschaft schlafen wir ein bis eineinhalb Stunden kürzer als noch in den 1960er-Jahren“
Prof. Dr. med. Geert Mayer, ehemaliger Vorsitzender (2006-2012) der DGSM (Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin)


Schlafdefizit kostet Milliarden. Foto: Michael Wieden

Auch wenn es bisher keine validen Langzeitstudien zu der Entwicklung der Schlafdauer der Deutschen gibt, ist belegt, dass Schlafmangel sich zu einem großflächigen Problem für die Menschen entwickeln kann. Bislang war der volkswirtschaftliche Schaden, der durch Schlafmangel entsteht, nicht beziffert worden. Experten haben aber schon lange gewarnt, dass dieser sehr hoch sein würde.

In der 2016 erschienenen Ausarbeitung  Why sleep maters – Quantifying the Economic Costs of Insufficient Sleep der RAND Europe Cooperation wurde nun erstmals für 5 große Industrienationen (USA, Deutschland, Japan, UK und Canada) neben dem Zusammenhang von Sterblichkeit und Schlafmangel, auch der volkswirtschaftliche Schaden des Schlafmangels ermittelt.  Für diejenigen, die sich mit dem Thema Schlaf schon intensiver auseinandersetzen, sind die Ergebnisse zwar nicht überraschend, aber dennoch beeindruckend. Für Politiker und Wirtschaftsentscheider jedoch sollten sie Grund genug sein, sich dem Thema wesentlich intensiver zu widmen. Denn Schlafmangel ist kein Thema, dessen Reduzierung von gewaltigen Investitionen begleitet sein muss. Die Hindernisse sind überwiegend im Bereich von Mustern zu suchen, deren Überwindung man sich scheut, anzugehen.

Datengrundlage für diese Studie bieten Interviews zwischen 2015 und 2016 mit über 62.000 Personen aus den o.g. Ländern. Die Methodik hier auszuführen, würde zu weit führen. Die komplette Studie ist am Ende verlinkt. Hier können die entsprechenden Informationen herausgelesen werden. Dabei wurden unter anderem folgende Faktoren einbezogen:

  • Lifestyle -und Gesundheitsfaktoren
    • BMI (Body Mass Index)
    • Rauchen
    • Gezuckerte Getränke
    • Physische Aktivitäten
    • Mentaler Zustand
  • Persönliche und soziodemografische Faktoren
    • Unbezahlte Pflegetätigkeiten
    • Kinder
    • Finanzielle Angelegenheiten
    • Geschlecht
    • Ehelicher Status
  • Arbeitspsychologische- und Arbeitsfaktoren
    • Stress und Angst sowie unrealistische Erwartungen (Zeitdruck)
    • Wahlfreiheit bzgl. der Schlafroutine
    • Unregelmäßige Schlafzeiten (z.B. Schichtarbeit)
    • Pendelzeiten

Was aber sagt nun die Studie im Einzelnen aus? Hier wird in erster Linie auf Deutschland eingegangen. Die Daten der anderen untersuchten Länder (USA, UK, Japan, Kanada) kann man aus der Studie entnehmen:

  1. Wie Minuten zu Stunden werden:

    Was kostet wieviel Schlaf?

    Die Tabelle zeigt an, um wieviel Minuten sich im Schnitt die von den jeweiligen Personen angegebene Schlafdauer, die einem Parameter zuzurordnen sind (z.B. Raucher), von denen die dem jeweiligen Parameter NICHT zuzuordnen sind (z.B. Nichtraucher) unterscheiden. In der Tabelle ist der Parameter angegeben, der auf Basis der Befragung ein Schlafdefizit erzeugt. Dieses ist in Minuten angegeben.
    Dies scheint bei einigen Parametern im ersten Moment sehr wenig. Die Systematik hinter der Befragung berücksichtigt jedoch, dass in der Regel einer Person mehrere Parameter zugeordnet werden können, z.B. verheirateter männlicher Raucher mit Kindern. Die angegebenen Minuten sind dann aufzusummieren.
    ParameterTägliches Schlafdefizit in min
    BMI (Body Mass Index) - Übergewicht5
    Raucher5
    Gezuckerte Getränke3,4
    Physische Aktivitäten (weniger als 120min/Woche)2,6
    Schlechter mentaler Zustand17,2
    Unbezahlte Pflegetätigkeiten5
    Kinder4,2
    Belastende finanzielle Angelegenheiten10
    Männlich9
    Unverheiratet6,5
    Stress und Angst sowie unrealistische Erwartungen (Zeitdruck)8
    Keine Wahlfreiheit bzgl. der Schlafroutine2,3
    Unregelmäßige Schlafzeiten (z.B. Schichtarbeit)2,7
    Pendelzeiten (zwischen 30 und 60 min einfach)9,2
    Summe aller Parameter90,1
    Vergleichen wir jemanden, auf den kein Parameter zutrifft mit jemandem, auf den alle Parameter zutreffen, was natürlich nur hypothetisch zu sehen ist, würden sich also im „worstcase“ 90 Minuten Schlafdefizit anhäufen,.
  2. Verlust an tatsächlicher Arbeitszeit durch Schlafdefizit
    Im nächsten Schritt wurde der durch das Schlafdefizit erzeugte volkswirtschaftliche Verlust an Arbeitszeit ermittelt und in Stunden und Tagen für das jeweilige Land und seine Bevölkerung hochgerechnet. Dabei wurde in der Datenerhebung auch zwischen Voll- und Teilzeitarbeit unterschieden. Für Deutschland ergaben sich dabei interessante Zahlen. 1,67 Mio. (bezahlte!) Arbeitsstunden verpuffen sowohl aus volkswirtschaftlicher Sicht, als natürlich auch (heruntergebrochen) aus Sicht aller Unternehmen in Deutschland durch Schlafdefizit.Vergleicht man diese Zahl mit den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland in Höhe von rund 59 Mrd. (2015 – Quelle: destatis), mag diese mit ihrem Anteil sehr gering erscheinen. Auf rund 43 Mio. Erwerbstätige (2015 – Quelle: destatis) hochgerechnet kommt so auf 819 Erwerbstätige ein Mitarbeiter, den man im Prinzip für in der Regel unverschuldetes Nichtstun bezahlt.
  3. Volkswirtschaftlicher Schaden durch Schlafdefizit
    Im Gegensatz zum reinen „Verpuffen“ an Arbeitszeit ist der volkswirtschaftliche Gesamtschaden, der durch Schlafdefizit entsteht, komplett anders zu ermitteln, als nur durch das Zusammenaddieren reiner Arbeitszeiten. Hier spielen vor allem tatsächlich entstandene Schäden mit hinein, die z.B. durch Übermüdung entstanden sind. Dies können rein finanzielle Schäden sein, die entstehen, weil z.B. übermüdete Finanzbroker oder Bankmitarbeiter einen Fehler machen oder materielle und personelle Schäden, die z.B. durch einen Unfall entstehen. „Übermüdung“ wird z.B. nach „Geschwindigkeit“ als zweithäufigste Unfallursache für Verkehrsunfälle benannt.„Internationale Statistiken belegen die Unfallgefahr durch Sekundenschlaf. Für Deutschland zeigte eine Studie auf Autobahnen, dass eingeschlafene Fahrer für jeden vierten tödlichen Pkw-Verkehrsunfall verantwortlich waren. Mindestens jeden sechsten schweren Verkehrsunfall (16 %), an dem ein Lkw beteiligt war, verursachte ein übermüdeter Berufskraftfahrer … Damit gehört Müdigkeit zu den häufigsten Unfallursachen.“ ADAC – Müdigkeit im Straßenverkehr„.
    Neben Unfällen sind es aber auch die großen, globalen Katastrophen wie Tschernobyl, Three mile Island und der Untergang der Exxon Valdez, die mit Übermüdung von Personal in Verbindung gebracht werden (Quelle: RAND Europe) und enorme volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen.  Hier setzt die Berechnung der RAND Europe an. Die Ergebnisse der Studie liefern beeindruckende Zahlen. Die Studie ermittelt für 2015 einen jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden von 1,56% des Bruttoinlandsprodukts (BIP ). Das BIP für 2015 lag bei 3,364 Billionen USD. Somit ergibt sich eine Schadenssumme von rund

    57,158 Mrd. USD,

    was bei aktuellem Kurs (Stand: 05.08.2017) eine Wert von 48,54 Mrd. € entspricht.
    Um einen besseren Vergleich zu haben: Diese Summe entspricht fast 8% des gesamten Steueraufkommens der BRD in Höhe von rund 620 Mrd. € (2015).

Prognose:

Für die kommenden Jahre zeigt die Kurve weiter nach oben. Dabei steigt die tatsächliche Schadenssumme überproportional, da die Prognosen für den BIP zumindest bis 2020 steigend sind.

Überproportional steigende Schadenssumme bis 2030

 

 

 

Was tun?

Grundsätzlich hat der Tag nur 24h innerhalb derer eine Aufteilung „Erwerbsarbeit, Freizeit, Schlaf “ stattfinden kann. Die Gesellschaft hat die Reihenfolge klar vorgegeben und der Schlaf steht am Ende der Kette. Das Problem dabei ist, dass die „Erwerbsarbeit“ automatisch einen Ring an „Nicht-Freizeit“ mit sich bringt. Fahrten zur oder von der Arbeit sowie die Pausen können nicht als „Freizeit“ gezählt werden und nehmen nicht selten 3 – 31/2 h in der Summe täglich ein. Um dabei aber den Wunsch nach Freizeit nicht in den Hintergrund kommen zu lassen, wird letztendlich am Schlaf gespart. Sehr deutlich wird dies auch bei der Sommerzeit-Diskussion. Das Hauptargument der Sommerzeit-Befürworter „Dann hat man mehr vom Abend!“ belegt dies sehr deutlich. Man möchte länger aufbleiben, obwohl man morgens nicht länger schlafen kann.

Gerade die Diskussion um flexiblere und längere Arbeitszeiten, die aktuell im Rahmen des Wahlkampfes angestoßen werden, sind hier nicht produktiv, wenn diese „Flexibilität“ zu einer weiteren Einschränkung des Schlafes führt, nur um noch einen Fetzen Freizeit zu haben. Neue Arbeitsmodelle wie mobile Arbeitsformen bieten im Prinzip eine Chance für Erwerbstätigkeit, in Bereichen in welchen dies möglich ist, losgelöst von Pflichtarbeitszeiten zu mehr Schlafzeiten zu kommen. Allerdings bedeutet dies auch in den Führungsetagen der Unternehmen einen Wandel. Denn solange die „Zeiteinteilungshoheit“ bei den Führungskräften und Unternehmen liegt, liegt auch die Verantwortung für genügend Schlaf zu richtigen Zeiten ein Stück weit in deren Verantwortung. Und letztendlich muss auch der Arbeitnehmer wieder an die Wichtigkeit des Schlafes herangeführt werden, denn am Ende dient dies nicht nur ihm selbst, sondern auch langfristig jedem Unternehmen.

Es liegt selten daran, dass etwas nicht geht, sondern meistens daran, dass jemand nicht will.

Fazit:

Das nach wie vor populäre Dogma, dass harte Arbeit und wenig Schlaf sich bedingen, ist Ursache nicht nur für bedenkliche Entwicklungen in Bezug auf Gesundheit und Leistung, sondern puscht letztendlich auch das Risiko von nun auch quantifizierten Schäden, die jeder auf verschiedensten Wegen finanziell mittragen muss. Egal ob über Steuergelder, höhere Versicherungsbeiträge oder hohen Krankenkassenbeiträgen. Und lassen wir das Geld einmal beiseite, stehen hinter jedem durch Ermüdung verursachten Unfall menschliche Tragödien, die nicht in Geld aufgewogen werden können.  Hier muss jedem klar sein, dass die Unfallsverursacher nur vordergründig die übermüdeten Personen sind. Im Grunde sind es all diejenigen, die dem Schlaf keine Bedeutung zumessen. Das finanzielle Potenzial, welches sich für Unternehmen hinter einem „Rhythmusmanagement“ von Erwerbszeit, Freizeit und Schlaf für Mitarbeiter verbirgt, ist gewaltig.

Michael Wieden


Hier finden Sie die komplette Studie der RAND Europe:
Why sleep maters – Quantifying the Economic Costs of Insufficient Sleep 

Weitere Quellen:

BIP-Prognosen: Statista und Trading economics

Schlafdauer 1979: Krippe et.al 1979 (http://www.schlafzentrum.med.tum.de/index.php/page/normaler-schlaf)

Schlafdauer 2013: Statista

Unfallursachen: ADAC – Müdigkeit im Straßenverkehr

 

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