Wie entsteht Schlafdefizit? Über 70% der Bevölkerung stehen laut Aussage des Chronobiologen Prof. Till Roenneberg an Arbeitstagen mit einem Wecker auf. Das bedeutet um Umkehrschluss: Über 70% schlafen nicht zu Ende. Nun gibt es die Empfehlung, dafür am Wochenende entsprechend auszuschlafen, denn Nachschlafen (im Gegensatz zu Vorausschlafen) ist möglich … so der Tenor bisher.
Die Studie
Das dies wohl nicht so ist, haben nun Wissenschaftler der Penn-State University in einer in der Fachzeitschrift Psychosomatic Medicine veröffentlichten Studie dargestellt. Dabei wurden 15 Personen beobachtet, die Schlafdefizit aufgebaut haben, indem sie fünf Tage lang nur fünf Stunden pro Nacht geschlafen hatten.
Es wurde festgestellt, dass trotz der Möglichkeit im Anschluss die kommenden zwei Tage ausschlafen zu können, Blutdruck und Herzfrequenz nicht auf den Ausgangswert zurückkehrten.
Untersucht wurden 15 gesunde Männer im Alter zwischen 20 und 35 Jahren über einen Beobachtungszeitraum von 11 Tagen. Während der ersten drei Tage schliefen die Teilnehmer 10 Stunden pro Nacht. Darauf folgten fünf Nächte, in denen ihr Schlaf nach fünf Stunden pro Nacht reduziert wurde um Schlafdefizit aufzubauen. Zum Ende erhielten sie wieder zwei Erholungsnächte, in denen sie erneut 10 Stunden schlafen konnten.
Um die kardiovaskuläre Entwicklung zu beobachten, maßen die Forscher während des gesamten Zeitraums mehrmals täglich Herzfrequenz und Blutdruck.
Das Ergebnis
Die Herzfrequenz stieg mit jedem weiteren Tag, an dem die Teilnehmer wenig schliefen um fast einen Schlag pro Minute an. Genauer gesagt betrug die durchschnittliche Herzfrequenz zu Studienbeginn 69 Schläge pro Minute, während sie am Ende der Studie fast 78 Schläge pro Minute betrug. Auch der systolische Blutdruck stieg um etwa 0,5 Millimeter Quecksilbersäule (mmHg) pro Tag.
Entgegen der bisherigen Annahme, pendelte sich das Niveau am Ende der beiden Erholungsnächte also nicht wieder auf die Ursprungswerte ein.
Fazit
Die Forscher und Forscherinnen kamen zu dem Schluss, dass ein längerer Erholungsschlaf notwendig sein könnte, um sich von in mehreren Nächten aufgebautem Schlafdefizit zu erholen.
Statement der Professorin für Bio-Verhaltensmedizin an der Penn State University und Mitautorin der Studie Anne-Marie Chang:
„Obwohl sie zusätzliche Gelegenheit zum Ausruhen hatten, hatte sich ihr Herz-Kreislauf-System am Ende des Studienwochenendes immer noch nicht erholt. Schlaf ist ein biologischer Prozess, aber er ist auch ein Verhaltensprozess und einer, über den wir oft viel Kontrolle haben. Schlaf beeinflusst nicht nur unsere Herz-Kreislauf-Gesundheit, sondern unter anderem auch unser Gewicht, unsere geistige Gesundheit, unsere Konzentrationsfähigkeit und unsere Fähigkeit, gesunde Beziehungen zu anderen aufrechtzuerhalten. Da wir immer mehr über die Bedeutung des Schlafs und seine Auswirkungen auf alles in unserem Leben erfahren, hoffe ich, dass er immer stärker in den Fokus der Verbesserung der eigenen Gesundheit rückt.“
Anne-Marie Chang
Hier bleibt nur zu ergänzen, dass Unternehmen mit ihren Arbeitszeiten maßgeblichen Einfluss darauf haben. Dessen sollten Sie sich nicht nur im Rahmen ihrer BGM-Maßnahmen bewußt sein.
Wichtig!
Wichtig hierbei ist anzumerken, dass innerhalb der Studie nicht ermittelt wurde, ob Nachschlafen einen positiven Einfluß auf die Konzentration bzw. die Tagesmüdigkeit hat. Es kann also durchaus sein, dass sich hier tatsächlich ein Erholungseffekt einstellt.
Und es zeigt sich, dass der Hinweis vieler Arbeitsmediziner und Schlafexperten, man solle auch am Wochenende den Rhythmus wie unter der Woche beibehalten, schlichtweg fatal ist. Dies würde die negativen Folgen nur noch verstärken.
Was bedeutet das für unsere Kinder?
Und wieder rückt neben dem Thema „Arbeitszeit“ bei mir automatisch das Thema Schule und „Schulbeginnzeit“ in den Vordergrund.
„Unsere Forschung zeigt einen potenziellen Mechanismus … auf, bei der genügend aufeinanderfolgende Attacken auf die kardiovaskuläre Gesundheit in jungen Jahren das Herz in der Zukunft anfälliger für kardiovaskuläre Erkrankungen machen könnten“ Anne-Marie Chang
Man kann es nur wiederholen, dass Schulbeginnzeiten, staatlich forciert, die Grundlage für spätere psychisch und körperlich gravierend negative Folgen legen. Und nur wenige, verantwortungsvolle Menschen interessiert es, leider auch nicht die Eltern in dem Maße wie es für Veränderungen notwendig wäre. Dies oft, weil man eh froh ist, wenn die Kinder möglichst frühzeitig verräumt sind. Und nein: Das Argument „Ich muss ja arbeiten“ zählt hier nicht, denn die Schädigung der Kinder hat Priorität und liegt auch in der Verantwortung der Eltern. Es geht um einen Prozess, und nicht darum von jetzt auf gleich alles umzuwerfen. Aber ohne verantwortungsvolle Eltern, Politiker und Arbeitgeber gibt es keine ersten Schritte in diesem Prozess. Und so brutal sich diese Wahrheit anhört, den steigenden mentalen Anforderungen einer digitalen Welt werden wir so nicht begegnen können.
Natürlich möchte ich in diesem Zusammenhang nochmals auf meine Petition aufmerksam machen, die exakt dieses Thema adressiert!
Quellen
Michael Wieden beschäftigt sich als Betriebswirt seit 2002 mit der Chronobiologie im Personalmanagement. Schon 2003 hielt er hierzu seinen ersten Vortrag auf einer Veranstaltung der INQA (Initiative der neuen Arbeit).
Zu den Themen „Chronobiologie im Personalmanagenement“ sowie mobilen Arbeitsformen hat er bereits Bücher geschrieben, und dabei den Begriff „Liquid Work®“ geprägt.
Zusammen mit Claudia Garrido Luque gründete er 2014 die aliamos GmbH und berät seit dem Kommunen, Unternehmen und Kliniken zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Von 2012 bis Ende 2016 war er externer Wirtschaftsförderer für die Stadt Bad Kissingen und Initiator des weltweit einzigartigen Projektes „ChronoCity – Pilotstadt Chronobiologie“. Zu ChronoCity®, Chronobiologie-Themen und mobilen Arbeitsformen trat er wiederholt als Experte in verschiedenen Fernsehformaten (z.B. TerraX, Planet Wissen, W wie Wissen, Xenius etc.) auf. Zudem war er von 2014 bis 2017 Mitglied des Arbeitskreises „Zeitgerechte Stadt“ der ARL – Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover.
Aktuell hält er Vorträge zum Thema „Chronobiologie im Personalmanagement“ und „Mobile Arbeitsformen“, und berät Unternehmen bei der Umsetzung chronobiologischer Ansätze in Unternehmen und Kliniken.