Sollte es so oder ähnlich vielleicht in Zukunft auf den Verpackungen aller Wecker stehen?
Über 75% der Deutschen Arbeitnehmer wachen während der Arbeitstage mit dem Wecker auf 1. Dies bedeutet, dass über 75% der Deutschen an Werktagen nicht zu Ende schlafen, der Schlaf also seine wichtigste Funktion (die Regeneration von Körper und Psyche) nicht vollständig ausführen kann. Wissenschaftlich belegt ist, dass Schlafmangel negative Effekte auf Psyche und Gesundheit hat, aber auch das Risiko von Fettleibigkeit und Suchtgefahr erhöht.
Schlafstörungen sind bei Demenz häufig, obwohl unklar ist, ob Unterschiede in der Schlafarchitektur dem Beginn der Demenz vorausgehen. In einer kommunalen Framingham Heart Study (FHS) wurden die Zusammenhänge zwischen der Schlafarchitektur und dem zu erwartenden Risiko einer Demenz – Erkrankung untersucht.
Wissenschaftler der Boston University School of Medicine 2 brachten dabei eine neue Erkenntnis ins Spiel. Sie konnten im Rahmen der Studie mit 321 Teilnehmern darlegen, dass es bei älteren Menschen einen direkten Zusammenhang zwischen Demenz und reduzierten REM-Phasen gibt. Je reduzierter die REM-Phasen desto höher die Wahrscheinlichkeit von Demenz. Die Patienten waren im Schnitt 67 Jahre alt und wurden während der Studiendauer auf das Auftreten verschiedener Erkrankungen hin untersucht. Die durchschnittliche Beobachtungszeit betrug zwölf Jahre.
Es wurden 32 Fälle von Demenz beobachtet, 24 von ihnen waren konsistent mit Alzheimer Demenz. Nach Anpassung für Alter und Geschlecht waren ein niedrigerer REM-Schlafprozentsatz und eine längere REM-Schlaflatenz (Zeitraum vom Ende der vorhergehenden Schlafphase bis zum Eintritt in den REM-Schlaf) mit einem höheren Risiko für eine Demenzerkrankung verbunden. Jede prozentuale Reduktion des REM-Schlafs war mit einer ungefähr 9% igen Zunahme des Risikos einer Demenzerkrankung assoziiert. Genauer gesagt: 1% weniger an REM-Schlaf Verfügbarkeit war mit einem 9% höherem Risiko an Demenz zu erkranken verbunden.
Der durchschnittliche REM-Schlaf-Anteil am Gesamtschlaf liegt bei ca. 20-25%3. Gehen wir von einem genetischen Schlafbedarf von 8h aus, beträgt die Gesamtzeit in der wir uns im REM-Schlafstadium befinden, 2h oder 120 Minuten, sofern wir ausschlafen können. 1% bedeuten also gerade mal 1 Minute und 20 Sekunden.
Im Klartexte: 1 Minute 20 Sekunden weniger Remschlaf bedeuten ein 9% höheres Risiko einer späteren Demenzerkrankung.
Was aber nun hat der Wecker damit zu tun? Die REM-Phasen sind vor allem in der zweiten Schlafhälfte ausgeprägt, während in der ersten Schlafhälfte vor allem die Tiefschlafphasen dominieren. In der Summe macht der REM-Schlaf rund 20-25% des gesamten, natürlichen Schlafzeitraumes aus.
Werden wir also vorzeitig vom Wecker (oder jedwedem anderen externen Impuls wie Smartphone, Partner etc.) geweckt, bedeutet dies, dass hierdurch in erster Linie die REM-Phasen betroffen sind, die (je nach Chronotyp) dann nur extrem reduziert stattfinden können. Wenn wir also regelmäßig 2h früher geweckt werden, als unser natürlicher Schlafbedarf es verlangt, kann somit ein großer Teil des Gesamt-REM-Schlafes nicht stattfinden. Der Körper versucht dies bei Regelmäßigkeit durch komprimiertere REM-Phasen auszugleichen. Diesen Vorgang nennt man REM-Rebound-Effekt. Schon länger wird jedoch vermutet, dass dieser wiederum vermehrt zu Angstzuständen und Albträumen führen kann. Ob dies schon eine symptomale Vorstufe zu einer möglichen Demenz sein kann, ist aktuell nur eine Theorie. Jedoch stehen auch Angstzustände und Demenz in einem klaren Zusammenhang.
Diese aktuellen Erkenntnisse lassen nun den Verdacht aufkommen, dass Schlafmangel neben Angstzuständen und Albträumen auch langfristig die Entstehung von Demenz fördert, da das „geweckt werden“ in der Regel in der 2. Schlafphase, also der Phase mit erhöhter REM-Aktivität geschieht.
Geht man davon aus, dass gerade Jugendliche, die, wie inzwischen belegt, von Natur aus eher zu den Spättypen zählen, durch den frühen Schulbeginn vom Weckereinsatz und damit auch von einer Unterbrechung der REM-Phase betroffen sind, liegt der Gedanke nahe, dass bereits durch die Schulzeiten die Grundlagen für eine spätere Demenz gelegt werden könnte.
Hinzu kommt, dass weitere Studien belegt haben, dass ein reduzierter REM-Schlaf auch mit einer erhöhten Mortalität assoziiert wird 4. Schlaf ist also nicht gleich Schlaf. Genauso wie ein Mechaniker seine Zeit braucht, um ein Auto zu reparieren, braucht der Schlaf seine Zeit um die Psyche zu regenerieren. Der REM-Schlaf spielt dabei eine zentrale Rolle.
Der Bote wird geköpft
Genaugenommen ist der Wecker nur der Bote dessen, was der Mensch ihm vorgibt. Ein Wecker selbst kann natürlich kein Demenzrisiko verursachen, wenn er still in der Ecke steht. Erst der Mensch selbst macht ihn quasi zur Waffe gegen die eigene Gesundheit. Das gilt im Übrigen natürlich für jeglichen Impuls, der uns früher aufwachen läßt. Dies können der morgendliche Laubsauger, der Straßenverkehr oder Kirchturmglocken sein. Der Ort wo wir leben kann also genauso einen nicht unerheblichen Anteil an einem erhöhten Demenzrisiko haben, wie unsere Arbeits- und Schulzeiten.
Die Frage ist, welchen Einfluß wir auf solche Impulse haben, die uns den REM-Schlaf rauben. Der Wecker steht überwiegend für Arbeits- und Schulzeiten. Diese liegen in der Verantwortung von Arbeitgebern bzw. Schulen und Politik. Demenz ist keine Nischenkrankheit mehr und die prozentuale Zunahme an Demenzerkrankungen findet sich in einem hohen Maße in unserem Life-and Workstyle.
Chronotypenoptimierte Arbeitszeiten (COPEP) könnten ein Schlüssel für eine ausgeschlafenere und damit auch weniger Demenzanfällige Gesellschaft sein, genauso wie ein BIldungsystem, welches auf Chronotypen Rücksicht nimmt und das gesellschaftliche Potenzial darin erkennt. Eigentlich ein win-win-win Situation für alle Beteiligten. Arbeitnehmer*innen, Arbeitgeber*innen und die Gesellschaft.
In unseren Projekten „Aufstehen ohne Wecker“ und „ChronoClinic“ haben wir aufgezeigt, dass und wie es möglich ist dem Schlaf, und insbesonderen dem REM-Schlaf, mehr Raum zu geben. Ein „Das geht nicht, weil… “ zählt also nicht mehr. Wir sollten uns mit der Frage „Wie bekommen wir es hin, dass … !“ befassen.
Michael Wieden beschäftigt sich als Betriebswirt seit 2002 mit der Chronobiologie im Personalmanagement. Schon 2003 hielt er hierzu seinen ersten Vortrag auf einer Veranstaltung der INQA (Initiative der neuen Arbeit).
Zu den Themen „Chronobiologie im Personalmanagenement“ sowie mobilen Arbeitsformen hat er bereits Bücher geschrieben, und dabei den Begriff „Liquid Work®“ geprägt.
Zusammen mit Claudia Garrido Luque gründete er 2014 die aliamos GmbH und berät seit dem Kommunen, Unternehmen und Kliniken zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Von 2012 bis Ende 2016 war er externer Wirtschaftsförderer für die Stadt Bad Kissingen und Initiator des weltweit einzigartigen Projektes „ChronoCity – Pilotstadt Chronobiologie“. Zu ChronoCity®, Chronobiologie-Themen und mobilen Arbeitsformen trat er wiederholt als Experte in verschiedenen Fernsehformaten (z.B. TerraX, Planet Wissen, W wie Wissen, Xenius etc.) auf. Zudem war er von 2014 bis 2017 Mitglied des Arbeitskreises „Zeitgerechte Stadt“ der ARL – Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover.
Aktuell hält er Vorträge zum Thema „Chronobiologie im Personalmanagement“ und „Mobile Arbeitsformen“, und berät Unternehmen bei der Umsetzung chronobiologischer Ansätze in Unternehmen und Kliniken.
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