Bär, Wolf, Delphin, Tiger, Gorilla, Löwe – aus Amerika kommt eine ganz andere Chronotypen – Definition, die wir hier zumindest einmal ansprechen und mit den klassischen Chronotypen Eule, Taube und Lerche vergleichen wollen. Michael J. Breus, Ph.D., ist klinischer Psychologe und sowohl Mitglied des American Board of Sleep Medicine als auch der American Academy of Sleep Medicine. Lt. seiner Website wurde er von Reader’s Digest zum Top Sleep Specialist in Kalifornien ernannt. Sein Schlaf-Test wurde kürzlich im Internet verbreitet und verspricht besseren Schlaf, sobald man festgestellt haben, welcher Chronotyp man ist. Um sich dann tatsächlich in Sachen Schlaf verbessern zu können, muss man allerdings sein Buch kaufen. Was sind die Unterschiede zu Eulen und Lerchen?
Im Gegensatz zu den bekannten Chronotypen, enthält sein Schema andere Mitglieder der Tierwelt. Hier finden wir den Löwen, den Bär, den Delphin und den Wolf. Es gibt inzwischen auch Apps, die weitere Chronotypen verwenden, wie z.B. headway_app (hier kommt noch ein Tiger und ein Gorilla hinzu). Was aber macht nun den Unterschied zwischen den o.g. Tieren und den Eulen und Lerchen? Der Hauptunterschied liegt darin, dass die Chronotypen nach Breus nicht eine genetischen Prägung der zeitlichen Lage des Schlaf-/Wachrhythmus beschreiben, sondern die Einteilung rein verhaltensbasiert erfolgt. Es folgt zunächst die Definition und dann unsere Kritik daran.
Breus definiert die Chronotypen wie folgt[1]Stand: 07.2020, aus dem Englischen aus mehreren Quellen frei aber inhaltlich stimmend übersetzt: https://thesleepdoctor.com/media/, https://www.sleepadvisor.org/chronotypes/, … Continue reading:
Delfine erwachen normalerweise unausgeruht aus dem Schlaf, haben Probleme mit dem Nickerchen und sind oft den ganzen Tag über müde, mit einem Energieschub am Abend. Sie gehören zu bemerkenswerten Vertretern wie Charles Dickens und Williams Shakespeare. Dieser Chronotyp wurde nach den Säugetieren benannt, die jeweils nur mit der Hälfte ihres Gehirns schlafen. Dr. Breus verwendete dieses Tier, um die 10% der Menschen darzustellen, die mit Schlaflosigkeit und anderen Schlafstörungen zu kämpfen haben. Während sie abnormal schlafen, sind Delfine normalerweise intelligente, motivierte Menschen, die gute Freunde mit starker Loyalität finden.
Etwa 15% der Bevölkerung sind Löwen und somit Frühaufsteher und Jäger. Sie sind die COOs[2]Chief Operating Officer vom Typ A, Manager und Drill-Sergeants, die aufwachen, trainieren und die Projekte des Tages koordinieren, bevor der Rest der Welt Kaffee getrunken hat. Löwen mangelt es an Vision und Kreativität. Sie stehen früh mit viel Energie auf und sind morgens am schärfsten. Sie sind oft organisierte Führungspersonen, wie z.B. Benjamin Franklin. Sie sind auch der einzige Chronotyp, von dem Breus sagt, dass er eine hohe Lebenszufriedenheit hat. Dies sind die Führungskräfte, die Dinge erledigen, ohne dabei abgelenkt zu werden. Analytisch und organisiert priorisieren diese Menschen ihre Gesundheit und arbeiten hart. Sie haben in der Regel die ideale Voraussetzungen für normale gesellschaftliche Erwartungen.
Bären sind der häufigste Chronotyp und machen 50-55% der Bevölkerung aus. Im chronobiologischen Spektrum liegen sie in der Mitte – keine Frühaufsteher und keine Nachteulen. Sie neigen wie echte Bären dazu, mit der Sonne aufzustehen und zu schlafen, was dem Sonnengang entspricht, obwohl es länger dauern kann, bis sie morgens loslegen. Sie sind mit Stephen King und Jeff Bezos im gleichen Lager. Spielerisch und liebevoll führen diese Menschen im Allgemeinen einen gesunden Lebensstil, sind gute Schüler und Teamplayer. Die „normalen Arbeitszeiten“ sind für Bären geeignet und sie sind normalerweise die Leute, die Dinge erledigen.
Wölfe machen 15% der Bevölkerung aus. Sie sind die Nachteulen, die während des restlichen Schlafes wie Wachposten Wache stehen.In der Regel sind sie kreative Typen, darunter Autoren, Künstler, Unternehmer, Sicherheitskräfte, Wachposten, Musiker, Barkeeper, und viele sind Introvertierte. Sie sind in den frühen Abendstunden am aktivsten und nicht mit dem Rest der Welt synchron. Personen wie Barack Obama und Elon Musk passen in dieses Muster. Wenn Sie sich etwas nachtaktiv verhalten, ist ihr Energieniveau normalerweise später am Tag oder am frühen Abend am höchsten. Diese Menschen sind in der Regel furchtlos, aufschlussreich, intuitiv, aber mit dem größten Teil der Welt eben nicht synchron.
Diese Angaben geben die Definition der angegebenen Quellen wieder.
Unsere Kritik an dieser Einteilung ist mehrgeteilt.
Breus thematisiert in seinen Publikationen ebenfalls die klassischen Chronotypen, propagiert aber vor allem seine eigenen 4 Chronotypen. Laut unserer Recherche löst er dieses Dillema nicht auf, sondern stellt es als logische Konsequenz dar. Die Problematik bei einer verhaltensbasierten Einteilung zeigt sich jedoch in der „Henne / Ei“ – Thematik. Liegt die Ursache der oben dargestellten Verhalten tatsächlich in dem jeweiligen genetischen Chronotyp basierend auf dem DLMO oder ist es eine Reaktion auf die individuelle Entwicklung des jeweiligen Menschen innerhalb seines gesellschaftlichen Umfeldes (Familie, Beruf, Freunde, Kultur etc.) in dem er bzw. wir alle eingebettet sind. Viele Menschen schätzen sich z.B. gerne als ein Chronotyp ein, der gesellschaftlich anerkannt ist. Deswegen akzeptieren sie ein Leben, das eigentlich komplett gegen ihre innere Uhr läuft. Das Ergebnis: Vom Verhalten ein Löwe, von den Genen ein Normaltyp. Wer bezeichnet sich schon gerne als Bär, wenn die Gesellschaft Löwen sucht. Die Gefahr einer solchen verhaltensbasierten Einteilung ist zudem das Fördern einer Stigmatisierung. Unternehmer werden Löwen lieben und Bären meiden. Dabei kann es sein, dass ein Bär nur deswegen müde ist, da die Gesellschaft gegen seinen natürlichen Takt läuft.
Eigentlich ist es paradox. Auch bei Breus geht es im Kern um den Schlaf, aber innerhalb der Definitionen seiner Chronotypen erwähnt er nirgends den natürliche Schlaf-Wachrhythmus. Bären empfiehlt er pauschal um 23.00 Uhr ins Bett zu gehen und um 7.00Uhr aufzustehen. Für viele Normaltypen bedeutet dies aber die Benutzung eines Weckers. Noch extremer ist es bei den Delphinen. Trotz der für diese Gruppe dargestellten Schlafstörungen, empfiehlt er ein Aufstehen um 6.00Uhr und ein zu Bett gehen um 22.00Uhr. Dies völlig unbenommen davon, ob es auf Grund ihrer genetischen Prädisposition überhaupt möglich ist. Gerade bei Personen mit Schlafstörungen kann dies zur Einnahme von Medikamenten oder bestenfalls von Nahrungsergänzungsmitteln oder Melatonin führen. Auch intensiveren Sport direkt nach dem Aufstehen mit dem Wecker bedeutet für den Körper eine Belastung, auf die er zu diesem Zeitpunkt ggfs. noch gar nicht eingestellt ist. Im Kern geht es also nicht wirklich darum das biologische Schlaffenster zu verstehen, entsprechend zu handeln und zu lernen, damit umzugehen, sondern alleine darum, ein bestimmtes, mutmaßlich chronotypenspezifisches Verhalten als Basis für die Tagesplanung zu nehmen.
Auch die Berufsgruppen-Einteilung halten wir für problematisch. Ein als Wolf bezeichneter Nachwächter ist vielleicht nur deswegen Nachtwächter, weil er dort besser bezahlt wird oder sonst keinen Job bekommt. Auch gibt es Autoren, Unternehmer oder Musiker die definitiv keine Wölfe sind. Verhaltensbasierte Schubladen sind in Bezug auf den Schlaf eher kontraproduktiv, da sie eben versuchen den Nutzer das Verhalten zu erleichtern oder sogar zu unterstützen, anstatt das Verhalten erst einmal auf die Ursache zu hinterfragen.
Bei sich nach aussen zeigenden Verhalten spielen auch die Kulturen eine maßgebliche Rolle. Asiaten zeigen z.B. komplett andere Verhaltensmuster als afrikanische oder europäische Kulturen. Allein Europa ist, von Nord nach Süd durchwandert, von einer Vielzahl kultureller und gesellschaftlicher Verhaltensmuster durchzogen, die ihre Ursache keineswegs in einer genetischen Prädisposition haben.
Der verhaltensbasierten Unterteilung der Chronotypen Breus fehlt in Sachen kausaler Zusammenhang mit den klassischen Chronotypen einerseits die wissenschaftlich validierte Grundlage, die einer globalen Gültigkeit standhalten könnte. Zudem ist die Gefahr der Stigmatisierung groß, da die aktuelle gesellschaftliche Situation ohnehin schon die Frühtypen als „positiv“ darstellt. Hätten wir eine gesellschaftliche Ordnung, die keiner festen zeitlichen Ordnung folgt, würde dies sicher auch die aktuelle Zuordnung der Menschen zu den Chronotypen von Dr. Breus ordentlich durcheinanderwirbeln. Zuletzt sehen wir aber vor allem die Gefahr darin, dass Menschen sich nicht mit Ihrem Verhalten auseinandersetzen, sondern es als unveränderbar oder gar gesellschaftlich gewollt betrachten. Verglichen mit der Körpergröße würde dies bedeuten, man fördert es Stielettos zu tragen, nur um Menschen nicht klein erscheinen zu lassen. Die Einteilung von Breus ist als quasi wie wenn ich Menschen nach ihrem getragenen Schuh einteile, und nicht nach ihrer tatsächlichen Körpergröße. Ziel jedweder Verbesserung sollte sein, zuerst sich mit den eigenen biologischen, nicht veränderbaren Gegebenheiten zu befassen, um den Schlaf zu verbessern.
Die aktuelle, wissenschaftliche Einordnung durch den DLMO, ohne direkte Zuordnung eines zwangsläufig mit dem jeweiligen Chronotypen verbundenen Verhaltens, ist genetisch und durch Bluttest oder Haarwurzeltest eindeutig darstellbar. Der Fokus sollte somit darauf liegen, den Schlaf in den Mittelpunkt zu stellen, und nicht ein vermeintlich aus einem Chronotypen ersichtliches Verhalten oder gar einer Berufsgruppe. Dies hilft dem Schlafsuchenden nämlich wenig.
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Fotoquellen:
Löwe: Kevin Pluck, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons
Wolf: Mas3cf, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
Bär: Jean-noël Lafargue, FAL, via Wikimedia Commons
Delfin: NASA, Public domain, via Wikimedia Commons
Michael Wieden beschäftigt sich als Betriebswirt seit 2002 mit der Chronobiologie im Personalmanagement. Schon 2003 hielt er hierzu seinen ersten Vortrag auf einer Veranstaltung der INQA (Initiative der neuen Arbeit).
Zu den Themen „Chronobiologie im Personalmanagenement“ sowie mobilen Arbeitsformen hat er bereits Bücher geschrieben, und dabei den Begriff „Liquid Work®“ geprägt.
Zusammen mit Claudia Garrido Luque gründete er 2014 die aliamos GmbH und berät seit dem Kommunen, Unternehmen und Kliniken zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Von 2012 bis Ende 2016 war er externer Wirtschaftsförderer für die Stadt Bad Kissingen und Initiator des weltweit einzigartigen Projektes „ChronoCity – Pilotstadt Chronobiologie“. Zu ChronoCity®, Chronobiologie-Themen und mobilen Arbeitsformen trat er wiederholt als Experte in verschiedenen Fernsehformaten (z.B. TerraX, Planet Wissen, W wie Wissen, Xenius etc.) auf. Zudem war er von 2014 bis 2017 Mitglied des Arbeitskreises „Zeitgerechte Stadt“ der ARL – Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover.
Aktuell hält er Vorträge zum Thema „Chronobiologie im Personalmanagement“ und „Mobile Arbeitsformen“, und berät Unternehmen bei der Umsetzung chronobiologischer Ansätze in Unternehmen und Kliniken.
References
↑1 | Stand: 07.2020, aus dem Englischen aus mehreren Quellen frei aber inhaltlich stimmend übersetzt: https://thesleepdoctor.com/media/, https://www.sleepadvisor.org/chronotypes/, https://brightside.me/inspiration-psychology/heres-the-perfect-daily-schedule-that-corresponds-to-your-chronotype-506010/ , Ab hier Stand 20.07.2022: https://www.mindbodygreen.com/articles/lion-chronotype , https://karriereboost.de/stressbewaeltigung/timing-ist-alles-warum-du-deinen-chronotyp-kennen-sollest/ |
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↑2 | Chief Operating Officer |
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